BAUSTOFF-FORSCHUNG
Die Region ist einer der traditionsreichsten europäischen Standorte der Bauforschung – verbunden mit einer breiten Akzeptanz bzw. Unterstützung für innovative Ansätze in der heimischen Baubranche und Bevölkerung. Innovative Architektur und Bautechnologien sind seit der Bauhaus-Zeit wichtiger Teil der regionalen Identität. Zudem ist mit der Bauhaus-Kultur seit jeher Ideen des nachhaltigen Bauens eng verbunden, die seit mehr als 100 Jahren über den Minimalismus, die Nutzungsvariabilität und Lichtgebundenheit der architektonischen Konzepte umgesetzt werden.
Die Herstellung und der Transport von Baustoffen zum Einsatzort benötigen enorm große Mengen an Energie und sind nach wie vor mit klima- und umweltschädlichen Emissionen verbunden:
- Etwa 7 % der weltweiten CO2-Emissionen sind allein auf die Zementherstellung zurückzuführen. Mit einer CO2-Emission von ca. 2,5 Mrd. t/a ist der jährliche Ausstoß durch die Zementindustrie damit fast dreimal so hoch wie der des weltweiten Flugverkehrs. Die Vorhersagen gehen auch zukünftig von einem stark steigenden Zementverbrauch aus, was bei gleichbleibenden Produktionsprozessen und unveränderter Materialbasis die CO2-Problematik weiter verschärfen wird.
- Die Treibhausgasemissionen der deutschen Ziegelindustrie betragen rund 1,74 Mio. t/a CO2, das sind 209 kg CO2-Äquiv./m³ produzierter Ziegel. Die Treibhausgasemissionen der deutschen Kalksandsteinindustrie liegen bei rund 0,9 Mio. t CO2; das sind 216 kg CO2-Äquiv./m³ produzierter Kalksandstein. Porenbeton hat Treibhausgasemissionen von 179 kg CO2-Äquiv./m³ produzierter Porenbeton und für Betonfertigteile als Wandelemente entstehen 345 kg CO2-Äquiv./m³ Wand. Die Baustoffindustrie arbeitet derzeit an einer Roadmap für eine treibhausgasneutrale Produktion in Deutschland.
- Baustoffe werden heute auch in Deutschland überwiegend aus natürlichen Rohstoffressourcen gewonnen. Die dabei anfallenden Reststoffe (wie Abraum, Prozessabfälle) oder als minderwertige Qualität eingestufte Rohstoffe werden überwiegend deponiert oder dienen zur Verfüllung. Gleiches gilt für Prozessabfälle aus der Baustoff- und Bauteilherstellung. Der Einsatz von Rezyklaten als Ersatzrohstoffe ist bislang nur sehr wenig verbreitet.
Einen Ausweg aus der „Klimafalle Bau“ bieten nur neue Lösungen für eine nachhaltige und klimaschonende Her- und Bereitstellung von Baustoffen. Wir forschen deshalb beispielsweise im Bereich der Baustoffe an folgenden Themen:
- Verbesserung der Effizienz und Effektivität von Technologien und Verfahren: Durch effizientere Technologien und Verfahren sollen perspektivisch mehr nutzbare Baustoffe bei gleicher Gesamtabbaumenge gewonnen werden.
- Entwicklung von Ersatzstoffe für sich verknappende Rohstoffe oder wegfallende Sekundärrohstoffe: So entwickeln wir z. B. alternative Zementkompositmaterialien als Ersatz für wegfallende Sekundärrohstoffe, da Steinkohleflugaschen und Hüttensande durch die Einstellung der Kohleverstromung und den Rückgang der Stahlindustrie stark zurückgehen werden.
- Entwicklung und Bereitstellung alternativer Bindemittel, mit weniger klima- und umweltschädlichen Emissionen im Herstellprozess.
- Erschließung von Verbrennungsaschen für alternative Bindemittel: Zahlreiche (mineralische) Abfälle aus dem Nicht-Baustoffbereich, wie beispielsweise Stahlwerksschlacken oder auch Aschen aus der thermischen Verwertung wie Papieraschen oder HMVA, werden derzeit auf Deponien entsorgt. Derartige Stoffe bieten das Potential, in aufbereiteter Form zur Baustoff- bzw. Bauteilherstellung oder zumindest zur Konditionierung des Baugrundes eingesetzt werden zu können.
Flankierende Forschungsprojekte
Leichtgips
Entwicklung von Leichtgipsen aus Schaumgips unter Nutzung von Ersatzbaustoffen
Im Vorhaben sollen die Anwendung von Gips als Leichtbaustoff (Einsparung mehr als 50 % des Rohstoffes), die Nutzung von Übergangsgestein (Haldenmaterial) als Baustoff, neue Verwendungsmöglichkeiten von Gipsstäuben aus aufbereiteten Gipsabfällen sowie modulare und nutzungsflexible Gipsleichtbauelemente, die als Bauteil wiederverwendbar sind, untersucht werden. Darüber hinaus sollen materialseitige Lösungen für konstruktive und rückbaufreundliche Bauweisen, eine materialselektive Trennung, eine uneingeschränkte Recycelbarkeit sowie Kl-Verfahren zur automatischen Sortiertechnik erarbeitet werden.
MiMaCMo
Mikro- und Makromechanische Charakterisierung der Kontaktzonen (ITZ) in Recyclingbetonen und Entwicklung eines Multiskalenansatzmodells
Ansatz des hier beantragten Projektes ist es, neueste analytische Methoden (hochauflösende, tomografische, elektronenmikroskopische Analyse, Laserablation und NNI) und mikromechanische Modellierung zu kombinieren. Dadurch ist es möglich, die mechanischen Eigenschaften, die Struktur und die Phasenzusammensetzung der ITZ in Abhängigkeit von verschiedenen Parametern in völlig neuer Qualität zu untersuchen. Die ermittelten experimentellen Ergebnisse finden direkten Eingang in die mikromechanische Modellierung. Durch dieses kombinierte Vorgehen ist es möglich, die Eigenschaften der R-Betone grundlegend zu verstehen und vorhersagbar zu machen. Aus den gewonnenen Informationen können Schlussfolgerungen zu den Einflüssen verschiedener Eigenschaften der Rezyklate auf die Bildung der ITZ und zur besseren Aufbereitung und Vorbehandlung der GK gezogen werden. Anhand der mikrostrukturellen Erkenntnisse sollen Variationen im makroskopischen Materialverhalten der Betone erklärt werden können. Die experimentellen Arbeiten bilden die Grundlage, in deren Folge ein mehrskaliger Modellierungsansatz entwickelt werden soll. Im Gegensatz zu empirischen Ansätzen, die für verschiedene Materialien neu kalibriert werden müssen, erlaubt eine Mehrskalenmodellierung die allgemeinere Anwendung auf unterschiedliche R-Betonarten.
QualiZyk - SenReRe
RUBIN -AMI- VP2 Sensorik für das Recycling von Rezyklaten
Ziel ist es, materialtechnische Grundlagenuntersuchungen für ein völlig neuartiges Analyse- und Prüfsystem für rezyklierte Gesteinskörnungen durchzuführen. Im Teilprojekt werden die baustoff- und materialtechnischen Kennwerte von Probematerialien ermittelt und systematisiert. Für die Entwicklung einer Erkennungsroutine soll auf eine Datenbank zurückgegriffen werden können, in der die stofflichen und spektralen Charakteristika und deren Variationsbreite für eine Vielzahl an Baustoffen und Kunststoffen enthalten sind. Dafür werden zunächst geeignete Proben zusammengestellt und aufbereitet. Im Anschluss daran erfolgt die stoffliche und spektrale Charakterisierung. Dabei sollen auch neue Baustoffe, wie wie z. B. Carbonbeton, Carbonfasern und weitere Verbundbaustoffe mit einbezogen werden. Alle Ergebnisse werden in geeigneter Form archiviert. Um die optisch ermittelten 3D-Kennwerte entsprechend in Masseprozent umrechnen zu können, sind grundlegende Untersuchungen zu einer Modellentwicklung für die materialabhängige Massenermittlung aus dem 3D-Kubus anzustellen. Hinsichtlich der Datenanalyse führt die MFPA chemometrische Auswertungen und der Bewertung der spektralen Daten durch. Nach dem Aufbau des Demonstrators werden Untersuchungen des Einflusses von materialbedingten Störgrößen (Partikelgröße, Materialfeuchtigkeit, Oberflächenbenetzung, Staubanhaftungen, …) auf die Erkennungsraten durchgeführt. Begleitend wird eine Marktrecherche und -beobachtung bezüglich der Kreislaufwirtschaft und des Recyclingprozesses erstellt.
Entkopplung
Kunststoffbasiertes modulares System zur Anbindung und gleichzeitiger Entkopplung zwischen zueinander unverträglichen Baustoffsystemen
Gipsgebundene Mauerwerkssysteme sind innerhalb der historischen Bausubstanz deutlich stärker verbreitet als bis vor wenigen Jahren angenommen. Die für bauliche Instandsetzungen oft eingesetzten Mörtel mit hydraulischen oder latent hydraulischen Bindemitteln bildeten im Kontakt mit gipshaltigem Material (Mörtel bzw. Stein) und Feuchteeinwirkungen Treibmineralien, die zu extremen Bauteilschäden bis hin zur vollständigen Zerstörung eines Bauwerkes führten. Das zu beantragende Forschungsprojekt geht daher von dem Ansatz aus, keine Materialien zu entwickeln, bei denen Unverträglichkeiten zu gipshaltigem Bestand vermieden werden, sondern die Möglichkeiten zu erforschen, Kontakt- und Reaktionszonen zueinander unverträglicher Materialien durch Entkopplung zu verhindern, bei gleichzeitiger Anbindung und Ausbildung eines Mauerwerkssystems aus Bestands- und Instandsetzungsbereichen. Die Validierung der im Labor- und Demonstratormaßstab entwickelten Systeme und Technologien soll im Rahmen des Projektes an zumindest einem Bauwerk mit geeigneten Anwendungsfällen und Instandsetzungsbedarf erfolgen.
MIRO
Erweiterung der Datenbasis sowie des Bewertungshintergrundes zur Beurteilung von Gesteinskörnungen bezüglich der Alkali-Kieselsäure-Reaktivität mit dem 60°C-Betonversuch und einer alternativen Schnellprüfmethode
Bei der Alkali-Kieselsäure-Reaktion (AKR) reagieren unterschiedliche Formen der Kieselsäure aus den Gesteinskörnungen mit Alkalien, welche zunächst vor allem mit dem Zement eingetragen werden. Da durch das Ausbringen von Streusalz auch Alkalien von außen in den Beton eingebracht werden können, sind vor allem Bauwerke des Betonstraßenbaus von der AKR betroffen. Neben Bauwerken des Wasserbaus und des Ingenieurhochbaus sind insbesondere auch Start- und Landebahnen von Flugplätzen von einer betonschädigenden AKR betroffen. Ergebnisse aus verschiedenen deutschen und europäischen Projekten zeigen deutlich, dass es bei der Einstufung von Gesteinskörnungen mit Hilfe des 60°C-Betonversuches zum Teil zu Diskrepanzen gegenüber dem Referenzverfahren aus Deutschland (40°C-Nebelkammerlagerung) kommt. Ein Bewertungshintergrund des zeitlich verkürzten 60°C-Betonversuches, welcher nicht auf die gesteinsspezifischen Besonderheiten im gesamtdeutschen Raum abgestimmt ist, kann sich wirtschaftlich immens auf die Kies- und Sandindustrie negativ auswirken. Aus diesem Grund sollen die derzeitig gültigen Bewertungskriterien durch eine Erweiterung der Datenbasis angepasst werden. Für die KMU der Gesteinsindustrie ist eine Prüfmethode, mit welcher nach bereits wenigen Tagen Prüfzeit eine Aussage zur Alkalibeständigkeit Ihrer Gesteinskörnungen zielsicher getroffen werden kann, von enormer wirtschaftlicher Bedeutung.
HBVSens
Hybride Holzbrücken mit Klebverbund - Qualitätssicherung und Zustandserfassung mittels integrierter Sensoren
Die stetig wachsende Verkehrsbelastung und der schlechte Bauzustand vieler Brückenbauwerke erfordern neben einem optimierten Erhaltungsmanagement zunehmend den Neubau von Brücken. Straßenbrücken in Holz-Beton-Verbundbauweise (HBV) stellen ökologisch und ökonomisch sinnvolle Alternativen zu Brücken in konventionellen Massivbauweisen dar. Dies gilt insbesondere für baupraktisch häufig vorkommende Überbaustützweiten bis ca. 30 m. In den bisher in Deutschland errichteten HBV-Brücken wurde der Verbund zwischen Holz und Beton ausschließlich mit Hilfe mechanischer Verbindungsmittel realisiert. Ökonomische und mechanische Vorteile bietet die flächige Verbindung von Holz und Beton mit modernen Klebstoffsystemen. Das Verbundvorhaben zielt darauf ab, eine neuartige HBV-Bauweise mit flächiger Verklebung zwischen Beton und Holz für den Brückenbau zu etablieren. Dies erfordert die Entwicklung einer baupraktisch robusten Herstellungstechnologie und Klebfugenausführung sowie die Erforschung des mechanischen Langzeitverhaltens der Klebfuge unter Temperatur- und Feuchteeinflüssen. Zur Detailanalyse wird ein neuartiger Sensoransatz erforscht, der auch zur Zustandsüberwachung genutzt werden soll. Im Teilvorhaben der MFPA Weimar werden die Möglichkeiten der Nutzung verteilt-messender faseroptischer Sensoren und Messverfahren für die Erfassung des Dehnungszustandes der Klebfuge, sowie die Erfassung der Temperatur und Feuchte untersucht.
UltraTimB
Qualitätsbewertung von Holzbauteilen durch eine neuartige, zerstörungsfreie Prüfmethodik durch Kombination von Mikrowellen- und Ultraschallverfahren und deren Integration in digitale Bauwerksmodelle
Das Forschungsvorhaben UltraTimB zielt auf eine sichere Strukturanalyse und Schadensdiagnostik mit Verfahren der zerstörungsfreien Prüfung für Holzbauteile als Bestandteil einer digital begleiteten Wertschöpfungskette "Bau" ab. Die Bauteilprüfungen sollen sowohl direkt an der Bauteiloberfläche und erstmalig auch durch Abdeckungen bzw. Luftschichten hindurch ermöglicht werden. Eine kostenintensive Freilegung der Bauteile kann dadurch zukünftig entfallen. Die Anwendbarkeit der Verfahren zur Strukturanalyse soll beispielhaft für alte Holzbalkendecken und für Holzbrücken getestet werden.
Zur Erkennung von Strukturschwächungen und Feuchteschäden an Holzbalken sollen erstmalig mehrkanalig abbildende Mikrowellenverfahren in Transmission separat sowie kombiniert mit mehrkanalig abbildenden Ultraschallverfahren in Reflexion entwickelt und eingesetzt werden.
- Weiterführende Informationen unter: Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus-Universität Weimar
Die Komplexität der anvisierten Veränderungen der mineralischen Baustoffströme in der Bauwirtschaft hin zu weniger Ressourcenverbrauch und mehr Nachhaltigkeit erfordert stark verknüpfte, interdisziplinäre Entwicklungs- und Umsetzungsarbeit. Bisher einzeln betrachtete Problemstellungen müssen ganzheitlich von der Rohstoffgewinnung, Baustoffherstellung und Bauten-Nutzung bis hin zum Rückbau betrachtet werden. Dazu besteht in der Bündnisregion eine einzigartige, exzellente Forschungskompetenz zum Bauen und den Baustoffen, kombiniert mit der notwendigen fachübergreifenden Expertise zu Nachhaltigkeit, Ressourcenmanagement und Life-Cycle-Engineering. Die in der Bündnis-Region vertretenen, zumeist sehr innovationsaffinen Unternehmen der Baubranche sind hervorragend mit den Forschungsinstituten vernetzt und darin erprobt, neue Technologien schnell in die Serienreife zu skalieren und am Markt zu etablieren.
Quellen:
Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden e. V., „Die Nachfrage nach Primär- und Sekundärrohstoffen der Steine- und-Erden-Industrie bis 2035 in Deutschland,“ 2019.
M. R. Sören Steger, „Stoffstromorientierte Ermittlung des Beitrags der Sekundärrohstoffwirtschaft zur Schonung von Primärrohstoffen und Steigerung der Ressourcenproduktivität,“ Umweltbundesamt, Dessau-Roßlau, 2019.
Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden e. V., „Mineralische Bauabfälle Monitoring 2018 - Bericht zum Aufkommen und zum Verbleib mineralischer Bauabfälle im Jahr 2018, “Bundesverband Baustoffe - Steine und Erden e. V., 2021.
H. Hermann, Vortrag "Die deutsche Braunkohlenwirtschaft: Historische Entwicklung und das Kohleausstiegsgesetz – Auswirkungen auf die Gipsbereitstellung", Berlin, 2020.
A. Müller, "Baustoffrecycling: Entstehung - Aufbereitung - Verwertung", Wiesbaden: Springer Vieweg, 2018.
M. Janson, „Sand wird immer teurer [Digitales Bild].,“ 08 02 2018. [Online]. Available: https://de.statista.com/infografik/12844/sand-erzeugerpreisindex/. [Zugriff am 06 01 2021].
„Bau- und Rohstoffindustrie warnen vor Knappheit bei Sand und Kies,“ BOERSE ONLINE, 27 11 2019. [Online]. Available: https://www.boerse-online.de/nachrichten/aktien/bau-und-rohstoffindustrie-warnen-vor-knappheit-bei-sand-und-kies-1028721955. [Zugriff am 06 01 2021].